Was bedeutet Buurtzorg?

Buurtzorg [sprich: bürtsorg] bedeutet soviel wie "Nachbarschaftshilfe".

Nach dem Motto "Menschlichkeit vor Bürokratie" soll die pflegedürftige Person wieder im Mittelpunkt der tatsächlichen Arbeit stehen und das Ziel "Wahrung der Eigenständigkeit und Unterstützung der Unabhängigkeit" verfolgen.

Einen hohen Wert haben die Präventionsarbeit und die Förderung der Selbstpflege. Zentral ist dabei der Aufbau eines breiten lokalen Unterstützungsnetzwerkes der Pflegekräfte rund um ihre Klienten unter Einbeziehung von Sozialarbeiter, Ärzten, Nachbarschaftshilfe, etc.

Auf der Ebene der Leistungserbringer sind nach dem Buurtzorg-Modell die Pflegeteams weitgehend autark organisiert und unterliegen nicht mehr der Supervision durch die verantwortliche Pflegefachkraft. Auf der Ebene der Leistungsempfänger wird es für die Bedürftigen in diesem Modell maximal zwei zuständige Pflegekräfte geben, die sich maßgeblich und in Absprache um den Pflegebedürftigen kümmern. Die Pflegemitarbeiter sind es, die mit dem sozialen Umfeld interagieren, die Kontakte zu anderen Versorgern wie der Apotheke und dem niedergelassenen Arzt vermitteln und moderieren und den Pflegeverlauf detailliert kennen.

Das Modell besteht aus vier Phasen, die berücksichtigt werden müssen (vgl. Abb. 1).

4-Phasen Pflegemodell

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Abbildung 1: Buurtzorg 4-Phasen Pflegemodell
  • Der erste Schritt ist dabei die Beratung und Begleitung der Klienten dahin gehend, wie sie selbst dazu beitragen können, ihre Unabhängigkeit zu erhalten oder wieder zu erlangen. Eine qualifizierte und dokumentierte Pflegeplanung ist hierbei selbstverständlich und unerlässlich.
  • Der zweite Schritt ist der Aufbau eines informellen Netzwerkes, bestehend aus Familienangehörigen oder Nachbarn und Freunden. Es kommt oft vor, dass sie erfolgreich in die tägliche Betreuung mit einbezogen werden.
  • Die dritte Ebene der Betreuung umfasst die tatsächlichen pflegefachlichen Tätigkeiten, die vom zuständigen Buurtzorg-Team geleistet werden.
  • Als vierter Schritt erfolgt der Aufbau, die Pflege und die Koordination eines stabilen verlässlichen formalen Netzwerkes bestehend aus Hausarzt, Spezialisten (z.B. Physiotherapeuten), Apotheke, Krankenhaus, und ggf. anderen lokalen und überregionalen Diensten (z.B. Dialyse), die Patienten in Anspruch nehmen

Welches Ziel verfolgt die Evaluation von Buurtzorg?

Die Evaluation beinhaltet die Untersuchung eines neuen Arbeits- und Organisationsmodells für die ambulante Pflege, welches bei zwei Pflegediensten im Kreis Steinfurt eingeführt wird. Die Evaluation zielt darauf ab, das Modell auf drei Ebenen zu untersuchen und in seinen Auswirkungen zu beschreiben. Die drei Untersuchungsebenen sind

  1. die Leistungsempfänger
  2. die Leistungserbringer
  3. die Rahmenbedingungen

Auf der Ebene der Leistungsempfänger wird es für die Patienten in Zukunft maximal zwei zuständige Pflegekräfte geben, die sich maßgeblich und in Absprache um den Patienten kümmern. Die Pflegemitarbeiter sind es, die mit dem sozialen Umfeld interagieren, die Kontakte zu anderen Versorgern wie der Apotheke und dem niedergelassenen Arzt vermitteln und moderieren und den Pflegeverlauf detailliert kennen. Der Patient und seine Angehörigen haben damit zuverlässige und eindeutige Ansprechpartner. Wichtig ist, dass die aktivierende Pflege in den Fokus rückt. Auf der Ebene der Leistungserbringer sind die Pflegeteams weitgehend autark organisiert und unterliegen nicht mehr der ständigen Supervision durch die verantwortliche Pflegefachkraft. Vielmehr sollen sie eigenverantwortlich und mit den Patienten und ihren Angehörigen über die geeigneten Pflegemaßnahmen entscheiden. Dies gewährt den Pflegekräften ein hohes Maß an Freiraum und Eigenverantwortung und erfordert überdies eine Erhöhung des durchschnittlichen Qualifikationsniveaus in den Pflegeteams. Die Evaluation wird sowohl qualitativ als auch quantitativ durchgeführt. Im Rahmen der Evaluation werden aktuelle Entwicklungen der Weiterentwicklung der Pflegeversicherung aus pflegewissenschaftlicher Sicht berücksichtigt und somit die Anschlussfähigkeit der Projektergebnisse sichergestellt. Die Evaluation geht von der Bildung von Pflegeteams mit 10- 12 Mitarbeitern in jedem der beteiligten Pflegedienste aus, die jeweils 40-60 Patienten versorgen. Buurtzorg orientiert sich dabei an folgenden Leitprinzipien (vgl. Abb. 2):

Was ist der Hintergrund des Projektes?

In Deutschland mehren sich die Anzeichen für einen drohenden Pflegenotstand. Auf Grund der nun alt werdenden geburtenstarken Jahrgänge und der abnehmenden Erwerbsbevölkerung ist die Versorgung mit Pflegedienstleistungen gleich doppelt unter Druck. Nach einer Prognos-Studie steigt der Bedarf an Pflegekräften im Vergleich zu 2009 bis 2020 um 36% an und bis 2030 nochmal um 26%. Die Studie geht davon aus, dass schon 2020 rechnerische 378.000 Pflegepersonen bundesweit fehlen. Auch der Kreis Steinfurt macht hier keine Ausnahme. Der Demografiebericht 2015 des Kreises Steinfurt zeigt, dass der Anteil der über 67-jährigen im Kreis von 17% im Jahr 2013 auf 23,2% in 2030 ansteigen und bis 2040 knapp über 30% liegen wird. Das entspricht einer Zunahme der älteren Bevölkerung von 2013 bis 2040 um 68% bei den über 67-jährigen und sogar 93% bei den über 80-jährigen. Nach Kliner et al (2017) steigt ab dem 80. Lebensjahr die Pflegewahrscheinlichkeit rapide an, ab dem 85. Lebensjahr liegt sie für Frauen, deren Lebenserwartung höher ist und daher anteilig den Großteil der über 85-jährigen stellen, bei knapp 50%. Gleichzeitig haben Beschäftigte in der Altenpflege mit durchschnittlich 24,1 AU- Tagen acht AU-Tage pro Jahr mehr als der Durchschnitt aller Beschäftigten insgesamt (16,1 AU- Tage je Beschäftigten). Dabei fallen die Fehlzeiten pro AU-Fall in der Altenpflege im Mittel mit 15,6 AU-Tagen deutlich höher aus als bei den Beschäftigten insgesamt (11,7 AU-Tage je Fall). Die unzureichende Einhaltung von Qualitätsstandards kann die Folge sein. Zudem entwickeln sich unwirtschaftliche Prozesse innerhalb der Pflege[1]. Die interdisziplinären, sektorenübergreifenden Dienstleistungen nehmen stetig zu und damit die Komplexität der Zusammenarbeit. Der Ansatz der ganzheitlichen Patientenversorgung tritt mehr und mehr in den Hintergrund. Demotivation auf Seiten der Pflegemitarbeiter und Unzufriedenheit auf Seiten der Kunden sind das Ergebnis. Die hier skizzierte Problemdarstellung wurde durch zwei Pflegedienste im Kreis Steinfurt zum Anlass genommen, ein neues Arbeits- und Organisationsmodell für die ambulante Pflege zu erproben.

[1] Zu den vielfältigen Herausforderungen in der Pflege und deren Auswirkungen siehe beispielhaft Görres et al 2016

Rahmenbedingungen

Die Studie wird organisiert durch die Fachhochschule Münster (Prof. Dr. Rüdiger Ostermann), der Hochschule Osnabrück (Prof. Dr. Andreas Büscher) sowie dem Netzwerk Gesundheitswirtschaft Münsterland e.V.. Gefördert wird das Projekt durch den GKV-Spitzenverband. Der Förderzeitraum geht über drei Jahre von Januar 2020 bis Dezember 2022.

Unsere Partner/Projektverbund


Förderung

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Der GKV-Spitzenverband fördert das Projektvorhaben im Rahmen des Modellprogramms zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung gemäß §8 Absatz 3 SGB XI.

Literatur

Görres, S., Seibert, K. & Stiefler, S. (2016). Perspektiven zum pflegerischen Versorgungsmix. In Jacobs, K., Kuhlmey, A., Greß, S., Klauber, J. & Schwinger, A. (Hrsg.) Pflege-Report 2016. Stuttgart: Schattauer

Kliner, K., Rennert, D. & Richter, M. (2017) Gesundheit und Arbeit - Blickpunkt Gesundheitswesen. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft

Lehmann, Y., Schaepe, C., Wulff, I. & Ewers, M. (2019) Pflege in anderen Ländern: Vom Ausland lernen? Heidelberg: medhochzwei

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